Aus archäologischen Quellen wissen wir, dass es in der mittleren Bronzezeit Güter- und Ideenaustausch zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa gab. Wie aber fand der Warentransport über längere Strecken statt? Aus den wenigen archäologischen Funden ein zufriedenstellendes Bild des Güteraustausches zu gewinnen ist zwar schwierig, aber einige Funde geben uns einen Einblick in die bronzezeitliche Seefahrt in Großbritannien. Neben einigen einzelnen Planken und Paddeln kennen wir aus der mittleren Bronzezeit die gut erhaltenen Boote von North Ferriby aus dem Fluß Humber nahe Hull und das Boot von Dover.
Die Boote von North Ferriby
(Bild fehlt noch)
Abb. 1: Rekonstruktion eines der Boote von North Ferriby (nach [Wright]).
Abb. 2: Detail der Konstruktion der North-Ferriby-Boote: Das Moos zum Abdichten der Plankennähte wurde von Holzleisten geschützt (nach [Wright]).
Bei den drei Booten von North Ferriby, die 1937/38, 1946 und 1963 ausgegraben wurden, handelt es sich wohl um Fähren, die zum überqueren des breiten Flusses Humber dienten. Sie datieren auf ca. 1300 v.Chr. Das am besten erhaltene der drei Boote ist noch ca. 14 m lang und 1,70m breit, dürfte ursprünglich jedoch etwa 16 m lang und 2,50 m breit gewesen sein (Abb. 1). Mit 18 Ruderern konnte es Passagiere und Ladung mit einem Gesamtgewicht von 7 Tonnen bei einer Geschwindigkeit von 5-6 Knoten transportieren. Die anderen beiden Boote von North Ferriby sind weniger gut erhalten, waren jedoch von vergleichbarer Größe und Bauart.
Während moderne Boote im allgemeinen in Skelettbauweise angefertigt werden, also die Planken an einem starren Gerüst von Kiel und Spanten befestigt sind, sind die Boote von North Ferriby in Schalenbauweise gebaut. Ausgehend von einer Kielplanke wurden die Planken mit Eibenzweigen aneinandergebunden oder "vernäht" und die Spanten erst am Ende zur Stabilisierung eingesetzt. Die Form des Bootes ist damit nicht durch das Spanten-Skelett vorgegeben, sondern durch die Form der Planken. Die Fugen zwischen den Planken wurden mit Moos abgedichtet, das wiederum von einer Leiste aus Eichenholz gehalten wurde (Abb. 2). Weder Holznägel noch Metallteile wurden beim Bau verwendet.
Das Dover-Boot
Abb. 3: Das Boot von Dover.
Das erst 1992 entdeckte Boot von Dover datiert ebenfalls auf ca. 1300 v.Chr. Es ist auf ein Länge von 9,5 m erhalten und war ursprünglich wohl ca. 13-15 m lang und 2,3 m breit. Im Gegensatz zu den Ferriby-Booten hat es keine zentrale Kielplanke, vielmehr besteht der Boden des Bootes aus zwei flachen Eichenplanken, die durch ein System von Holzkeilen zusammengehalten wurden (Abb. 3). Die Seitenplanken sind wie bei den Ferriby-Booten mit Eibenzweigen angenäht und die Fugen mit Moos und Eichenleisten abgedichtet.
Anders als die Ferriby-Boote war das Dover-Boot kein Flußschiff, sondern diente eher der Küstenschiffahrt und war auch seetüchtig genug, mit einer Besatzung von 18 Personen bei nicht zu unruhiger See den ärmelkanal zu überqueren. Zwar sind Boote in Schalenbauweise weniger starr und robust als Boote in Skelettbauweise, doch zeigen jüngere Beispiele (etwa von den Shetland-Inseln, wo noch bis ins letzte Jahrhundert Boote in Schalenbauweise - allerdings mit genagelten Planken - üblich waren), daß sie flexibel auf Wellen reagieren und daher erstaunlich unempfindlich gegen Seegang sind.
Weder die Ferriby-Boote noch das Dover-Boot scheinen Segel besessen zu haben, und es ist anzunehmen, daß Segel erst ein Jahrtausend später in Nordwesteuropa eingeführt wurden - der früheste sichere Beleg für ein Segelboot ist das goldene Bootsmodel von Broighter (Irland) aus dem 1. Jhd. v.Chr.
Schiffsbautechnik im Lauf der Jahrhunderte
Die komplexe Bauweise und die sorgfältige Ausführung der Boote von North Ferriby und Dover deuten auf spezialisierte Handwerker. Bemerkenswert ist ein Vergleichsfund aus Caldicot am Fluß Severn in Wales. Dort wurden Fragmente einer Eichenbeplankung gefunden, die in fast identischer Technik wie die Planken der Ferriby-Boote aneinandergenäht und mit Moos kalfatert waren, aber 300 Jahre älter sind. Die Bootsbauer von North Ferriby und Dover konnten also offenbar auf eine jahrhundertealte Tradition zurückgreifen, die in weiten Teilen Großbritanniens verbreitet war, und die sich vermutlich in der Frühbronzezeit entwickelte, als neue Werkzeuge die exakte Holzbearbeitung ermöglichten. Diese Tradition setzte sich auch noch einige weitere Jahrhunderte fort, wie der Fund des sogenannten Brigg-"Floßes" aus dem Fluß Anchholme, wenige km südlich von Hull, belegt, das auf ca. 800 v.Chr. in die Spätbronzezeit datiert und in ähnlicher Technik gebaut ist. Wann diese Schiffsbautechnik zugunsten der Skelettbauweise und mit Holz- oder Metallnägeln genagelten Planken aufgegeben wurde, kann jedoch derzeit nicht geklärt werden, da der nächstjüngere britische Fund eines geplankten Bootes erst aus dem 2. Jhd. n Chr. stammt.
Neben geplankten Booten wurden auf ruhigen Flüssen und Seen außerdem Einbäume eingesetzt. Zwar gibt es dafür aus der mittleren Bronzezeit keine Funde, doch aus der Spätbronzezeit um ca. 1000 v.Chr. kennen wir den 15 m lange Einbaum von Brigg, der unweit des Brigg-"Floßes" gefunden wurde.
Auch Hinweise auf die Infrastruktur des Wassertransports sind erhalten. So gibt es Belege für künstliche Bootsanlegestellen aus Runnymede Bridge an der Themse, aus Caldicot am Fluß Severn, und aus North Ferriby.
Verlorene Ladungen und Bootsunglücke
Abb. 4: Bronzefunde entlang der britischen Küste deuten auf die Transportwege kontinentaler Importe.
Neben den eigentlichen Bootsfunden geben uns noch einige weitere Funde Auskunft über den Gütertransport in der Bronzezeit. Funde von französischen Bronzeobjekten, vor allem von äxten, in Großbritannien deuten auf einen mehr oder weniger regelmäßigen Warenaustausch mit dem Festland hin. Offenbar wurden die importierten Güter dann von Dover aus entlang der Küsten weitertransportiert, denn an vielen Orten vor der englischen Süd- und Ostküste fanden sich unter Wasser einzelne Bronzeäxte oder Kupferbarren - vermutlich verlorene Ladungsgegenstände (Abb. 4).
Um die Ladung eines verunglückten Bootes handelt es sich möglicherweise bei dem Unterwasser-Bronzefund von Moor Sand in Devon: Ein Schwert, 2 äxte und einige weitere Bronzeobjekte, die auf die Mittlere Bronzezeit datieren, und die stilistische ähnlichkeiten mit französischen Vergleichsfunden aufweisen. Deutlich jünger (ca. 1100-1000 v.Chr.) ist ein weiterer Unterwasserfund von insgesamt 189 Bronzeobjekten - teils unbrauchbares Altmetall - aus Langdon Bay nahe Dover.
Handel und Güteraustausch im mittelbronzezeitlichen Großbritannien
Die vorliegenden Belege ergeben also das Bild, daß in der Mittelbronzezeit in Großbritannien ein Transportsystem existierte, bei dem Mannschaften in gut gebauten Booten über den ärmelkanal Güter aus Frankreich importierten und entlang der Küsten und ins Landesinnere weitertransportierten. Da französische Bronzeimporte im Wesentlichen nur als Unterwasserfunde oder in Depots vorkommen, kann man vermuten, daß Bronze hauptsächlich als Altmetall importiert wurde und dann von einheimischen Handwerkern zur Herstellung lokaler Produkte eingeschmolzen wurde. Wie oft und regelmäßig dieser Austausch mit dem Kontinent stattfand, muß jedoch offen bleiben. Ebensowenig wissen wir, welche weiteren Güter außer Bronzeobjekten eingeführt wurden, und was im Gegenzug nach Frankreich ausgeführt wurde. Auch die soziale Organisation des Gütertransportes bleibt im Dunkeln: Handelte es sich um Händlergruppen, die in ihren Booten den ganzen Weg von Frankreich bis nach Nordengland fuhren, oder wurden die Güter von Ort zu Ort weitergereicht und dabei von wechselnden Mannschaften nur jeweils über kleinere Entfernungen transportiert? War es überhaupt Handel, bei dem die Güter gegen Bezahlung verkauft wurden, oder lag dem Austausch ein anderes System zugrunde? Die archäologischen Funde können diese Fragen (noch) nicht klären.
Literatur
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- James P. Delgado (1997) (Hrsg.):
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- The Brigg "raft" reassessed as a round bilge Bronze Age boat. The International Journal of Nautical Archaeology and Underwater Exploration, 21.3 (1992), 245-258
- Edward Wright (1994):
- North Ferriby and the Bronze Age boats. Ferriby Heritage Group, Forth Ferriby, 1994
Dieser Artikel wurde 2000 für einen Katalogbeitrag einer Ausstellung der Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg e.V. geschrieben und ist hier mit freundlicher Genehmigung wiedergegeben. Die genaue Quelle lautet:
Stephan Matthiesen (2000): Bronzezeitliche Boote in Großbritannien. In: B. Mühldorfer and J.P. Zeitler (ed.) (2000): Mykene - Nürnberg - Stonehenge.Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg e.V. 43/2000, ISSN 0077-6149. Abhandlungen der