Warum glauben Menschen an Dinge, für die mitunter wenig objektive Belege existieren, warum sind wir "abergläubisch"? Eine interessante Frage, die uns viel über unser eigenes Denk- und Urteilsvermögen bzw. dessen Grenzen sagen kann — zeigt es sich doch, dass die meisten psychologischen Prozesse im Zusammenhang mit dem Para-Glauben keineswegs außergewöhnlich oder pathologisch sind, sondern vielmehr normale Mechanismen, die bei allen Menschen im alltäglichen Leben bei der Bildung unserer Ansichten und Überzeugungen eine Rolle spielen.

Allgemeines

Überwiegend handelt sich um allgemeine psychologische Mechanismen, die es uns überhaupt erst ermöglichen, in einer komplexen Welt zu überleben und praktisch brauchbare und meist angemessen Entscheidungen zu fällen. Der Glaube an Paranormales ist daher keine „Irrationalität“, sondern eine Folge dessen, dass unsere normalen „rationalen“ Urteilsprozesse in bestimmten Fällen auch zu Überzeugungen führen können, die objektiv nicht belegbar sind. Tatsächlich entsteht auch umgekehrt die Überzeugung, dass paranormale Phänomene nicht existieren, in vielen Fällen nicht durch sorgfältige Prüfung der Beweislage, sondern durch dieselben psychologischen Mechanismen wie der Para-Glaube.

Dabei sagt die Existenz dieser psychologischen Erklärungsansätze nichts darüber aus, ob die behaupteten Phänomen tatsächlich existieren oder nicht: Dass viele Menschen an etwas glauben, heißt nicht, dass es tatsächlich existiert; aber umgekehrt darf man psychologische Gründe für den Glauben auch nicht automatisch als „Täuschungen“ oder „Irrtümer“ und damit als Zeichen für die Nichtexistenz ansehen — die Frage nach der objektiven Existenz eines Phänomens erfordert andere Methoden und Überlegungen als die Frage nach dem Glauben an das Phänomen.

Para-Gläubigkeit oder "Aberglaube" ist kein einheitliches Phänomen: Verschiedene Menschen glauben an verschiedene Dinge; jemand kann z.B. Astrologie für wahr halten, aber UFOs für Unsinn. Daher müssen auch die Erklärungen vielfältig sein, und dieser kurze Text ist zwangsläufig überpauschalisierend. Die hier aufgeführten Erklärungsansätze sind daher jeweils individuell unterschiedlich nur auf Teile des Para-Glaubens bzw. bestimmte Themenbereiche anwendbar, andererseits überschneiden sie sich teilweise und wirken gemeinsam.

Differenzieren sollte man auch zwischen Erklärungen zur Entstehung und Erklärungen zur Aufrechterhaltung eines paranormalen Glaubens: So mag bei einer Person der Glauben an die Existenz von UFOs zunächst durch eine eigene Sichtung entstehen, doch dann — ohne weitere Sichtungen — aufrecht erhalten werden durch den Einfluss von Massenmedien.

Individuelle Disposition

Intelligenz und Bildungsstand
Es ist wichtig festzustellen, dass Para-Gläubige nicht generell dumm oder ungebildet sind: Wie man aus einer Vielzahl von Untersuchungen weiß, ist der Para-Glaube nicht mit geringer Intelligenz oder dem Bildungsstand korreliert. Beispielsweise waren in einer Studie von Gray (1987) Studenten verschiedener Fachrichtungen (Naturwissenschaften, Psychologie und Englisch) nach drei Jahren Universitätsausbildung nicht signifkant ungläubiger als Anfänger.
Kreativität
Para-Gläubigkeit ist mit hoher Kreativität korreliert — also ein durchaus positives Merkmal des Para-Glaubens.
Alter und Geschlecht
Generell neigen junge Menschen stärker zu Para-Glauben als Ältere — mit Ausnahme von Glaubensinhalten, die mit traditionellen religiösen Vorstellungen verbunden sind. Insgesamt ist der Para-Glaube bei Frauen stärker als bei Männern. Doch ist hier sehr stark zwischen verschiedenen Inhalten zu differenzieren: So glauben Frauen stärker an z.B. Astrologie oder Präkognition, dagegen ist der Glaube an UFOs oder Kryptozoologie (z.B. Monster von Loch Ness) eher eine Männerdomäne.
Kontrollüberzeugungen (Attributionsstil)
Menschen neigen individuell unterschiedlich dazu, ihr Leben als durch eigene Leistungen und Fähigkeiten bzw. durch äußere Kräfte oder Schicksal bestimmt zu erleben (internaler bzw. externaler Attributionsstil). Oft wurde der Para-Glaube mit externalen Kontrollüberzeugungen in Zusammenhang gebracht. Das Bild scheint jedoch komplexer.
Psychische Erkrankungen
Patienten mit bestimmten Erkrankungen wie Epilepsie oder Schizophrenie berichten zwar öfter über paranormale Erfahrungen, aber der Umkehrschluss gilt nicht: Para-Gläubige weisen i. Allg. keine psychischen Erkrankungen auf. (Dies ist kein Widerspruch, denn es gibt in der Bevölkerung sehr viele Para-Gläubige, aber nur relativ wenig psychisch Erkrankte.)

Erklärungsansätze

Lerntheoretische Modelle
„Abergläubische“ Verhaltensweise können einfach erlernt sein. Typisches Beispiel: Ein Schüler trägt in einer Prüfung zufällig einen Ring und schneidet gut ab. So kann sich eine Assoziation zwischen dem Ring und dem Prüfungserfolg einstellen — der Ring wird zum Glücksbringer; dieser Mechanismus ist in der Psychologie als operantes Konditionieren bekannt. Auch sozialkognitives Lernen von z.B. nahestehenden Personen oder auch von Massenmedien spielt eine Rolle.
Bestätigungstendenz und Vermeidung kognitiver Dissonanz
Viele psychologische Mechanismen führen dazu, dass wir stärker dazu neigen, eine einmal gefasste Ansicht zu bestätigen als sie zu widerlegen. So sucht man aktiv nach bestätigenden Argumenten oder Informationen, aber nicht nach Gegenargumenten. Oft werden widersprechende Informationen ignoriert, oder sie werden besonders kritisch beurteilt. Bei (z.B. astrologischen) Persönlichkeitsanalysen ist auch der Barnum-Effekt zu beachten: Selbst allgemein gehaltene Texte („Du hast ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung“) werden als auf die eigene Situation besondern zutreffend wahrgenommen.
Missverständnis von Statistiken, illusionäre Korrelationen
Es fällt uns Menschen schwer, zufällige Ereignisse richtig zu interpretieren — vielmehr sehen wir leicht Zusammenhänge und Muster selbst in zufälligen Ereignisketten. Zufällig gemeinsam auftretende Ereignisse werden als bedeutungsvoll interpretiert. Eine anderer statistischer Irrtum spielt in der Medizin eine Rolle: Viele (chronische) Krankheiten verlaufen in einem stark vom Zufall geprägten Auf und Ab. Ist man in einem besonders tiefen Tal, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es bald wieder aufwärts geht. Diese Besserung wird jedoch nicht dem rein zufällige Auf und Ab zugeschrieben, sondern dem Erfolg der Behandlung.
Verfügbarkeit von Informationen
Für viele Menschen sind Informationen, die die Existenz von paranormalen Phänomenen behaupten, etwa durch Fernsehen oder andere populäre Medien leichter zugänglich als Informationen, die dagegen sprechen — daher wird ihre Existenz eher für wahr gehalten als ihre Nicht-Existenz. Dies ist ein spezieller Fall eines allgemeinen psychologischen Mechanismus, der so genannten Verfügbarkeitsheuristik: Wenn eine bestimmte Information leicht verfügbar ist, wird sie als zuverlässig beurteilt. Im Allgemeinen ist das eine sehr sinnvolle Urteilsheuristik, die es uns ermöglicht, mit komplexen Sachverhalten im täglichen Leben effizient umgehen zu können, auch wenn wir sie meist selbst nicht sorgfältig nachprüfen können.
Soziale Komponenten
So wird die freundliche Atmosphäre oder der unterstützende Zusammenhalt Menschen an Gruppen oder Freundeskreise binden, in denen eine positive Einstellung zu paranormalen Themen existiert. Soziale Anpassung und diverse aus der Gruppenpsychologie bekannte Mechanismen können dazu führen, dass sich Meinungen bilden und festigen, die mit der Gruppe konsistent sind. In der Gruppe erhalten die Mitglieder auch vorwiegend Informationen ähnlichen Inhalts. Auch zum Erfolg der Alternativmedizin tragen soziale Komponenten bei, etwa die persönlichere oder ansprechendere Atmosphäre in einer Heilpraktikerbehandlung im Vergleich zu mancher Kassenarztpraxis.
Wahrnehmungs- und Gedächtnistäuschungen
Weder unsere Wahrnehmung noch unser Gedächtnis ist perfekt, vielmehr wird beides u.a. von unseren Erwartungen beeinflusst, wir unterliegen Selbsttäuschungen. Forschungen z.B. über Zeugenaussagen vor Gericht haben ergeben, dass auch ehrliche Personen, die nach besten Wissen und Gewissen berichten und von der Korrektheit ihrer Wahrnehmungen und Erinnerungen völlig überzeugt sind, das Geschehene dennoch oft nicht korrekt wiedergeben. Auch bei Berichten über paranormale Erfahrungen wie UFO- oder Geistersichtungen können diese Selbsttäuschungen eine Rolle spielen.
Selektive Erinnerung
Besondere, ungewöhnliche Ereignisse (etwa das Eintreten eines Traums) verbleiben stark in Erinnerung — tritt der Traum hingegen nicht ein, so verblasst die Erinnerung sehr schnell. Hinzu kommt, dass wir uns in solchen Fällen selten Gedanken machen, wie wahrscheinlich das Ereignis eigentlich tatsächlich ist.
Veränderte Bewusstseinszustände
Bei der Entstehung bestimmter Glaubensinhalte können veränderte Bewusstseinszustände eine Rolle spielen. Zum Teil sind dies extreme Sonderfälle, etwa bei Nahtodeserfahrungen. Doch sind veränderte Bewusstseinszustände auch bei gesunden Personen sehr häufig, etwa als so genannte hypnagoge oder hypnopompe Halluzinationen ("Halbschlafhalluzinationen"), die von den meisten Menschen gelegentlich in der Phase des Einschlafens oder Aufwachens als extrem realistische Erfahrungen erlebt werden.

In diesem kurzen Text kann ich nur eine kleine Auswahl und den oberflächlicher Versuch einer Zusammenfassung des differenzierteren und komplexen Sachverhaltes bieten. Näher Interessierte seien auf die Werke von Irvin (1993), Gilovich (1991), Hergovich (2001) und Vyse (2000) verwiesen.

Literatur

Gilovich, T (1993)
How We Know What Isn't So: Fallibility of Human Reason in Everyday Life. The Free Press.
Gray, T. (1987)
Educational experience and belief in the paranormal. In: Harrold, F.B.: Cult archaeology and creationism: Understanding pseudoscientific beliefs about the past. University of Iowa Press, Iowa
Hergovich, A. (2001)
Der Glaube an Psi. Die Psychologie paranormaler Überzeugungen. Huber, Bern
Irwin, H.J. (1993)
Belief in the Paranormal: A review of the Empirical Literature. Journal of the American Society for Psychical Research, 87, 1-39
Vyse, S. (1999)
Die Psychologie des Aberglaubens. Birkhäuser Verlag, Basel, Boston, Berlin
Weschke, B. (2000)
Erklärungsansätze für den Glauben an paranormale und esoterische Überzeugungen — eine Literaturstudie. Diplomarbeit, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Eine stark gekürzte Version dieses Textes wurde auch veröffentlicht in Skeptiker 1/2003