Neben anderen Argumenten aus der historischen Forschung ist die Radiokarbondatierung des Turiner Grabtuches ein starkes und naturwissenschaftliches Indiz dafür, dass die berühmte Reliquie aus dem Mittelalter und nicht aus neutestamentlicher Zeit stammt. Worauf beruht diese Messung, und welche Fehlerquellen muss man beachten?
Grundprinzip
Die Radiokarbon- oder 14C-Methode (sprich: „C-14“) ist ein Verfahren, bei dem der radioaktive Zerfall eines Kohlenstoffisotopes zur Altersbestimmung genutzt wird. Sie hat sich in der Archäologie als eine der wichtigsten naturwissenschaftlichen Datierungsmethoden etabliert.
Kohlenstoff kommt in der Natur in den drei Isotopen 12C, 13C und 14C vor. Während 12C und 13C stabil sind, zerfällt das radioaktive 14C mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Da es aber in der Atmosphäre durch die kosmische Höhenstrahlung aus Stickstoff stets neu gebildet wird, bleibt sein Gehalt in der Atmosphäre annähernd konstant bei ca. einem Atom 14C auf eine Billion Atome 12C. Auch Pflanzen, Tiere und andere Systeme, die mit der Atmosphäre in Stoffaustausch stehen, nehmen das radioaktive 14C in etwa dem gleichen Verhältnis auf. Wenn aber die Pflanze stirbt, hört der Stoffaustausch mit der Atmosphäre auf, es wird kein neues 14C eingelagert, und der Gehalt an 14C nimmt durch den radioaktiven Zerfall langsam ab. Indem man also das Verhältnis zwischen 14C und 12C in einer Probe misst, kann man das Alter bestimmen – je weniger 14C, desto älter.
Messung
Die Messung kann im Wesentlichen auf zwei Arten erfolgen. Nach der so genannten konventionellen Methode wird mit einem Zerfallszähler die Radioaktivität des 14C gemessen. Da aber die Aktivität sehr gering ist, braucht man relativ große Probenmengen — im Falle von Textilien pro Messung 20-50 g — wobei die Probe völlig zerstört wird.
In den 70er Jahren wurde die sogenannte Beschleunigermassenspektrometrie oder AMS-Methode (accelerator mass spectrometry) entwickelt, bei der die einzelnen Atome durch elektrische und magnetische Felder beschleunigt und getrennt werden und so ihr Verhältnis direkt gemessen werden kann. Für eine AMS-Messung genügt ein Tausendstel der Menge, sodass nun auch sehr kleine Materialproben datiert werden können. Im Falle des Turiner Grabtuches reichte ein nur 7x10 cm großer Streifen für insgesamt 12 Messungen.
Kalibrierung und Umrechnung in Kalenderalter
Abb. 1: Kalibrierungskurve der letzten 2000 Jahre, aus der das Kalenderalter (untere Achse) aus dem unkalibrierten Radiokarbonalter (linke Achse) abgelesen werden kann.
Im Prinzip könnte man das Alter der Probe allein aus dem radioaktiven Zerfallsgesetz exakt berechnen, wenn der ursprüngliche 14C-Gehalt bekannt wäre. Allerdings schwankt der atmosphärische 14C-Gehalt, da die Höhenstrahlung nicht konstant ist, und da Kohlenstoff aus anderen Quellen (z.B. vulkanisch, oder — in der Neuzeit — aus der Verbrennung von Kohle und Öl) einen anderen 14C-Gehalt aufweist. Um diese Ungenauigkeiten auszuräumen, wurde die Methode anhand von Holzproben kalibriert, deren Alter durch Holzringzählung (Dendrochronologie) genau bekannt ist.
Die Bestimmung des Kalenderalters einer Probe geschieht daher in zwei Schritten:
- Der gemessene 14C-Gehalt der Probe wird mit Hilfe des Zerfallsgesetzes in ein sogenanntes Radiokarbonalter (bezogen auf das Jahr 1950) umgerechnet, das in Jahren BP (before present) angegeben wird. Dieses Radiokarbonalter sollte nicht als Alter der Probe interpretiert werden, sondern nur als ein anschauliches Maß für den 14C-Gehalt. Deshalb spielt es auch keine Rolle, dass aus Gründen der Vergleichbarkeit noch immer die so genannte Libby-Halbwertszeit von 5568 Jahren statt der tatsächlichen Halbwertszeit von 5730 Jahren verwendet wird.
- Aus dem Radiokarbonalter wird anhand der Kalibrierungskurve (Abb. 1) das Kalenderalter bestimmt, das in Jahren „cal. AD“ bzw. „cal. BC“ angegeben wird.
Ergebnisse der Datierung des Grabtuches
Zürich (ETH-3883) | 676 ± 24 yr. BP |
Arizona (AA-3367) | 646 ± 31 yr. BP |
Oxford (BM-2575) | 750 ± 30 yr. BP |
Mittelwert | 691 ± 31 yr. BP |
Kalenderalter (68% Konfidenz) | 1273-1288 cal. AD |
Kalenderalter (95% Konfidenz) | 1262-1312, 1353-1384 cal. AD |
Tab. 1: Ergebnisse der einzelnen Labors, und das kalibrierte Ergebnis
Die Probe aus dem Grabtuch wurde dreigeteilt und an die Labors in Zürich, Oxford und Arizona geschickt. Von den einzelnen Labors wurden die Proben weiter unterteilt, mit verschiedenen Methoden gesäubert, und separat vermessen, sodass insgesamt 12 Einzelmessungen stattfanden. Die Ergebnisse der einzelnen Labors (Tab. 1) ergeben ein Radiokarbonalter von 691 ± 31 yr. BP.
Abb. 2: Die Kalibrierung der Messung des Grabtuches von Turin.
Das Kalenderalter erhält man nun aus der Kalibrierungskurve (Abb. 2): Mit 95-prozentiger Sicherheit liegt das Entstehungsdatum der Probe zwischen 1262 und 1312 oder zwischen 1353 und 1384. Ein Alter von 2000 Jahren wäre dagegen statistisch praktisch ausgeschlossen.
Fehlerquellen
Bei jeder Messung ist zu beachten, dass trotz hoher Präzision systematische Fehler zu einem falschen Ergebnis führen können. Die möglichen Fehlerquellen bei Radiokarbondatierungen sind jedoch gut bekannt. Bei Textilproben besteht vor allem die Gefahr der Verschmutzung, etwa durch Fett, Öl oder Ruß aus moderner Zeit. Daher wurden die einzelnen Proben von den Labors auf verschiedenste Weise gereinigt, und die Tatsache, dass die Einzelmessungen gut übereinstimmen, zeigt, dass Verschmutzung kaum eine Rolle spielte. Zudem würde eine 10-prozentige Verschmutzung nur zu einem um ca. 300 Jahre falschen Ergebnis führen, dagegen wäre für ein um 1300 Jahre zu junges Ergebnis bereits eine Verschmutzung von 60% nötig.
Literatur
- Bowman, S. (1990): Radiocarbon Dating, British Museum Press.
- Damon et al (1989): Radiocarbon dating of the Shroud of Turin, Nature 337, 611-615.